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Talmud Thora Schulen in Deutschland 1945 - 1950

Schriftzug Talmud Thora Schulen in Deutschland 1945 - 1950 Hebräisch: bereschit...

Windsheim 1946: Jeschiwot in der ehemaligen Hermann-Göring-Siedlung

„Außergewöhnliche Schulen für lernbegierige junge Männer.“

In der unmittelbaren Nachkriegszeit lebten in Deutschland rund 200.000 osteuropäische Juden. Entwurzelte, verschleppte, nur knapp der NS-Vernichtungsmaschinerie entkommene Menschen, die in sogenannten Displaced-Persons (DP)-Camps auf ihre Auswanderung nach Palästina warteten. In nahezu allen diesen Unterkünften bildete die Gruppe der Gläubigen eine Minderheit. „Die Annahme, dass das erfahrene Leid bei den Menschen eine religiöse Wiederbesinnung auslöst, ist nicht zu erkennen“, stellte ein Mitarbeiter der amerikanisch-jüdischen Hilfsorganisation Joint nach dem Besuch zahlreicher DP-Camps in Deutschland enttäuscht fest.

Die Jahre der Verfolgung hatten deutliche Spuren hinterlassen und viele Juden in ihrem Glauben erschüttert, wie der Auschwitz-Überlebende, Rabbiner Emil Davidovic, in seinen Erinnerungen schrieb: „Wir haben dort nicht philosophiert und auch keine Theologie betrieben. Wir haben nur nachgedacht: Wie kann ich den heutigen Tag überleben?“ Wo das Überleben die Ausnahme und der Tod die Regel war, zweifelten daher viele Juden an der Existenz eines Gottes. Des weiteren gehörten viele Shoa-Überlebende der jungen Generation an und waren daher ohne traditionelle religiöse Erziehung aufgewachsen. Hinzu kam, dass schon vor dem Krieg eine zunehmende Säkularisierung bei den jüdischen Gemeinden Osteuropas zu verzeichnen war. Dennoch erwachte bei manchen Überlebenden „ihre schlummernde, aber nicht verkümmerte Religiosität und sie suchten nach Möglichkeiten zu ihrer traditionellen Lebensweise zurückzukehren“, konstatierte ein Rabbiner im Frühjahr 1946. „Wenn immer es machbar und möglich war, wurde der wöchentliche Ruhetag eingehalten. Der Schabbat wurde wieder zu einer heiligen Institution. Bei den Gottesdiensten drängten sich die Menschen und sangen mit Inbrunst die alten chassidischen Melodien, die sie jahrelang in ihren einsamen Stunden nur leise vor sich hin summen konnten.“

Mitglieder der Windsheimer Jeschiwa Merkas HaThora. (Repro: nurinst-archiv – Vaad Hatzala)

Als hervorragendes Beispiel hierfür steht die spirituelle Renaissance im fränkischen DP-Lager Windsheim. Anfang Juni 1946 hatte die UNRRA, eine von den Vereinten Nationen gegründete Hilfsorganisation, die ehemalige Hermann-Göring-Siedlung Überlebenden der Shoa zugewiesen. Wenig später zogen die ersten 400 jüdischen Displaced Persons dort ein. Weitere 1.000 Juden aus dem überfüllten Lager in Pocking (Niederbayern) folgten. Ende November 1946 verzeichnen die Statistiken eine Belegstärke von knapp 3.000 Bewohnern – darunter eine nicht unbedeutende Anzahl von Strenggläubigen.

Einem Report vom August 1946 ist zu entnehmen, dass sich etwa ein Drittel der Lagerbewohner der orthodoxen Glaubensrichtung zugehörig fühlte. Diese machten sich sogleich an den Bau einer Synagoge sowie eines Ritualbades. Pünktlich zu den hohen Feiertagen, die mit Rosch Haschana Ende September ihren Anfang nahmen, waren die Arbeiten abgeschlossen. Doch nicht alle Gläubigen fanden Platz in dem Gotteshaus. „Wir stellten weitere Räumlichkeiten, in denen gebetet werden konnte zur Verfügung“, berichtete ein Joint-Mitarbeiter, „doch unglücklicherweise besitzen wir nur zwei Thora-Rollen. Sie reichen nicht aus!“ Es fehlte auch an weiteren wichtigen Ritualien, wie Gebetsmänteln, -Riemen und Sidurim. Gleichwohl vermerkte der Report mit Genugtuung einen „Monat voller religiöser Aktivitäten“.

Im Oktober 1946 nahm die Jeschiwa „Merkas HaThora“ ihren Lehrbetrieb auf. Die Mitglieder dieser religiösen Hochschule stammten aus Litauen und hatten sich schon vor dem Krieg dem Studium von Talmud und Thora verschrieben. Aus dem sowjetischen Exil waren sie über Polen in die amerikanische Zone gekommen. Bis zu ihrer Auswanderung in die USA widmeten sie sich in Windsheim intensiv den heiligen Texten des Judentums. Kurz darauf kam es zur Gründung einer weiteren Jeschiwa. Die Talmudhochschule „Shearith Hapletah“ unterstand dem charismatischen Rabbiner Jekusiel Jehuda Halberstam, der als einer der wenigen großen chassidischen Gelehrten die Shoa überlebt hatte. Da Halberstam vor dem Krieg im rumänischen Klausenburg tätig war, nannte man die Schar seiner Schüler und Anhänger auch die Klausenburger Bewegung.

Jeschiwa-Bocherim vor ihrer Abreise in die USA.
(Repro: nurinst-archiv, Vaad Hatzala)

Zum Jahresbeginn 1947 konnten die Gläubigen im Windsheimer Lager neben den zwei Jeschiwot sechs Synagogen, ein Cheder, eine religiöse Grundschule für Jungen, eine Koschere Küche sowie eine Mikwe nutzen. Die kleine fränkische Stadt entwickelte sich zu einem der spirituellen jüdischen Zentren im Nachkriegsdeutschland. „Damit ist Windsheim möglicherweise der einzige Ort in Deutschland mit zwei Jeschiwot“, schrieb ein Joint-Berichterstatter: „Eine der ungarischen und eine der litauischen Juden; außergewöhnliche Schulen für lernbegierige junge Männer.“

Anfang 1948 emigrierten die Mitglieder der Jeschiwa „Merkas HaThora“ über Frankreich in die Vereinigten Staaten. Die Talmudhochschule „Shearith Hapletah“ bestand weiterhin, zählte Ende 1948 jedoch nur noch 22 Schüler. Ihr Ende war absehbar. Im Juli 1949 wurde das Windsheimer Lager aufgelöst. Nach Gründung des Staates Israel hatte die große Ausreisewelle eingesetzt. Viele Juden fanden eine neue Heimat im eigenen Land, andere emigrierten in die USA, nach Kanada oder Australien.

Quellen

Archive

  • American Jewish Joint Distribution Committee Archives, New York
    AR 45/54 Germany
  • The Wiener Library for the Study of the Holocaust & Genocide, London
    The Henriques Archive
  • YIVO Institute for Jewish Research, New York
    Leo W. Schwarz Papers

Literatur

  • Philip S. Bernstein, Displaced Persons, in: American Jewish Yearbook, American Jewish Committee (Ed.), Vol. 49 (1947-1948).
  • Koppel S. Pinson, Jewish Life in Liberated Germany, in: Jewish Social Studies, No. 9 (1947).
  • Jim G. Tobias, Vorübergehende Heimat im Land der Täter. Jüdische DP-Camps in Franken 1945–1949, Nürnberg 2002.

Einrichtung: DP-Camp Windsheim